Philosophisches und Historisches                                                      Zurück


Vorgeschichtliches


Ganz genau habe ich es in Erinnerung, weil auch oft in Erinnerung geholt, was ich mir in frühen Jahren zum Lebensziel gesetzt habe:


Ich lebte damals in meiner teilweise noch zerbombten Heimatstadt Solingen im Bergischen Land , der Stadt der Messer und Scheren, und beobachtete die Menschen um mich herum. Ich sah, wie sie schufteten und sich mit ihrer Arbeit quälten und wie immer irgend etwas fehlte.

Und ich sah die verheirateten Frauen in ihren alten Mänteln und mit ihren langen Armen und den schweren Einkaufstaschen, die sie trugen.

Zwei Lebensziele entstanden: zum Einen etwas zu tun zur Verbesserung der Lage der Frauen, sie zu unterstützen, ein lebenswerteres Leben zu leben, und zum Anderen, etwas zu tun, diese ewige elende Schufterei abzuschaffen.


Berufsziel


Damit ergab sich mein Berufsziel: Ingenieur.

Passend dazu kam, daß mein Onkel, der bei uns wohnte, mir eine Lupe mit Fadenzähler vermachte (er war in der benachbarten Textilstadt Wuppertal beschäftigt) und eines Tages eine leere Flachbatterie mit zwei Messingzungen und ein Glühbirnchen überließ.

Ein paar Stunden Aufenthalt der Batterie auf dem warmen Ofen (bitte nicht nachmachen, sonst geschieht das, was mir Jahre später mit einer gekapselten Rundbatterie geschah - es gibt eine Explosion) genügte, und ich sah, wenn das Glühbirnchen richtig zwischen die zwei Messingzungen gehalten wurde, leuchtete es auf.

Mein Beruf war nun klar: Elektroingenieur.


Zunächst gab es zwei Hobbys: Optik und Elektronik. Und damit war ich - Anfang der fünfziger Jahre - klar im zukünftigen Trend der Zeit. Der Weg zur Ausbildung zum Elektroingenieur führte über den (vielleicht vermeintlichen Um-) Weg der Lehrausbildung zum Starkstromelektriker in der Firma, in der mein Großvater Benno, den ich nie kennengelernt hatte, Versandleiter war. Er war verstorben, als meine Mutter zwölf Jahre alt war.

Ein Zufall, wie es immer wieder in meinem Leben vorkam.


In dieser Firma lernte ich die technische Arbeitswelt kennen. Es war eine Maschinenfabrik ( Kieserling&Albrecht, eine renommierte Firma, die in den dreißiger Jahren, als mein Großvater noch lebte, eine der wenigen Firmen in Solingen war, die in dieser schlechten Zeit Arbeitsplätze bieten konnte, weil sie Lieferverträge mit Rußland hatte. Heute existiert diese Firma ebenso wie das damalige Rußland nicht mehr). In dieser Firma lernte ich diszipliniertes Arbeiten, Ordnung und Zurechtfinden in der Arbeitswelt.


Erste Erfindung


In der Elektrowerkstatt hatte ich einen Vorarbeiter, Herrn Weiberg, der öfters zur Montage verreisen mußte, um Exzenterpressen zu reparieren, deren Steuerung versagt hatte. Meist mußte er ansehen, wie aus den Stanzwerkzeugen die Finger herausgeholt wurden, die der an dieser Maschine arbeitende Mitarbeiter durch das Versagen der Maschine verloren hatte.

Das war 1961. Irgendwie kam es dazu, daß er mich, den Lehrling im ersten Lehrjahr, aufforderte, mir Gedanken zu machen, was man denn tun könne, um die Steuerung sicher zu machen, um solche Unfälle zu verhindern. Die bisherige Maßnahme des technischen Büros bestand darin, nach jedem Unfall die Schaltung zu begutachten und festzustellen, daß es wohl eine Fehlermöglichkeit gab, die dadurch behoben wurde, daß ein neues Schaltschütz eingebaut wurde. Die Steuerung, die nur die Aufgabe hatte, ein Ventil ein- und auszuschalten, hatte inzwischen fünfzehn Schaltschütze.


Eines Tages kam Herr Weiberg von einer Montage-Reise aus Schweden zurück. Er hatte mir etwas mitgebracht: eine Blechplatte, so groß wie die Bodenplatte des Laptops, auf dem ich heute diesen Bericht schreibe, mit einem einzigen Schaltrelais, so groß wie Zettelwürfel, mit einer durchsichtigen Kappe, damit man sehen konnte, ob das Relais ein- oder ausgeschaltet war. "Das ist die schwedische Pressen-Sicherheits-Steuerung", sagte er dazu.

Und damit "fiel bei mir der Groschen". Ich weiß es noch, als wenn es heute wäre. Ich kann das Geräusch noch hören: "Klack, klack, klack" (Vielleicht war es auch das Schaltgeräusch dieses Relais, das mich zusätzlich inspirierte).


Mein Gedankenapparat sprang an:

Klar war, warum diese Steuerung nur ein einziges Schalt-Relais hatte: Wenn nur ein Schaltrelais vorhanden ist, ist auch nur ein Schaltrelais für die Schaltung verantwortlich.

Wenn dieses Schaltrelais regelmäßig ausgetauscht wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß es immer richtig schalten wird.


Aber mein Gedanke war dann sofort: Was ist denn, wenn dieses Relais nicht abschaltet? Dann schaltet die Presse nicht ab, und es geschieht ein Unfall. Also, was tun? Ein zweites Relais muß her. Wenn zwei Relais gleichzeitig für das Schalten verantwortlich sind, wird, wenn die Schaltung richtig ausgeführt wird, die Funktion der Steuerung auch bei Ausfall eines Relais ordnungsgemäß erhalten bleiben, denn die Wahrscheinlichkeit, daß zwei Relais zur gleichen Zeit ihre Funktion aufgeben, ist äußerst gering. Aber was ist, wenn ein Relais ausfällt, und keiner merkt es? Man kann ja mit einer Lampe den Ausfall signalisieren, aber wenn die Glühbirne defekt ist, und keiner merkt es? Dann hilft nur eines: ein drittes Relais muß her.


Und so entstand die - vermutlich weiltweit erste - redundante selbstüberwachende Pressen-Sicherheits-Steuerung, SATU genannt (Sicherheitssteuerung mit Automatischer Testung und Universaler verwendbarkeit). Eine Alarm-Lampe, die bei jedem Pressenhub kurz aufleuchtete (und damit signalisierte, daß sowohl Steuerung als auch Lampe in richtiger Funktion sind), zeigte mit Dauerlicht eine Fehlfunktion an, die Funktion der Presse wurde gesperrt. Dann mußte jemand eine Taste zum Entriegeln (anfangs wurde ein Schlüsselschalter verwendet) betätigen, damit weitergearbeitet werden konnte. Wenn das mehrmals vorkam, wurde die Steuerung ausgetauscht. Denn die Sicherheits-Steuerung war - damals ein Novum - steckbar mit der übrigen Pressensteuerung verbunden.

Einer der ersten größeren Aufträge wurde nach Schweden geliefert, denn die Schweden sahen ein, daß auch ihre Steuerung mal ausfallen konnte, und daß unsere durch die Selbstüberwachung eine höhere Sicherheitsstufe besaß.


Patentierung


Erfahrungen am Rande: Die Sicherheitsschaltung wurde patentiert. Als Erfinder wurde der Firmenchef benannt. Zum Patent angemeldet wurde nicht die redundante Selbstüberwachung (entweder war die Erfindungshöhe zu gering - wie bei Zuses erster Patentanmeldung seines Computers - oder niemand hatte die redundante Selbstüberwachung verstanden, denn mich hatte niemand gefragt, wie es funktioniert), sondern eine Zeitfunktion, die in der schwedischen Steuerung elegant gelöst war und die ich der Einfachheit halber in meine Steuerung eingebaut hatte, weil ich sie genial fand. Und zusätzlich bekam ich das schlechteste Lehrzeugnis vom Meister unserer Elektrowerkstatt, weil ich, statt die Werkstatt zu fegen, im Labor "herumgebastelt" habe. Das war meine erste persönliche Erfahrung mit Innovation in Deutschland.


Dann kam mein Gießereipraktikum, meine Bundeswehrzeit (in der ich eine Ausbildung als Richtfunkgerätemechaniker, meinen Führerschein, und eine Ausbildung zum Fernschreiber erhielt. Letzteres hilft mir, diesen Bericht wenigsten Zehn-Finger blind zu schreiben), eine Zwischenzeit als Fernmeldehandwerker, und schließlich die Ausbildung zum Ingenieur.


Bildungs-Innovation


Damit begann die nächste Innovations-Erfahrung: die Bildungs-Innovation.

Die Ingenieurschulzeit war eigentlich eine schöne Zeit. Es gab eine Erstsemester-Einführung, die gemeinsam vom AStA , der ESG und der KSG durchgeführt wurde, bei der auch Dozenten zugegen waren. Das Zusammengehörigkeitsgefühl wurde gestärkt, das Gefühl, gemeinsam miteinander zu arbeiten wuchs. Nach dem ersten Semester wußte ich, wie es auf der Schule lief, und ich konnte zum Beginn des zweiten Semesters, bei der Eröffnungsveranstaltung im großen Hörsaal, Fragen an den Direktor stellen, die dieser sehr freundlich beantwortete und damit allen die ungeschriebenen Gesetze der Schule mitteilte.


Im dritten Semester gab es dann eine Neuerung: neben dem AStA sollten noch Fachschaftsvertreter gewählt werden, denn schließlich hatten wir eine Abteilung für Maschinenbau und eine für Elektrotechnik.

Man trat an mich heran, weil ich schon immer Interesse an der Arbeit der Studentenvertretung gezeigt hatte, und fragte mich, ob ich nicht kandidieren wolle. Und so wurde ich zum Fachschaftvertreter gewählt. Dann ging es "Schlag auf Schlag". Das Gerücht kam auf, daß die Anerkennung der Deutschen Ingenieursausbildung in Europa gefährdet sei und daß unbedingt etwas getan werden müsse. Es sei dringend eine Reform der Ingenieursausbildung und eine Änderung der schulischen Eingangsvoraussetzungen erforderlich. Als Fachschaftsvertreter war ich mit involviert und arbeitete so in Kronenburg in der Eifel unter der Leitung von Ulrich Haupt, Vorstand des Studentenverbandes der Ingenieurschulen Nordrhein-Westfalen, an einer neuen Konzeption der Ingenieursausbildung einschließlich der Erarbeitung der erforderlichen Gesetz-Entwürfe.

Aus heutiger Sicht waren es überwältigende Erlebnisse, als Ingenieurstudent an der Gestaltung der Ingenieursausbildung mitzuarbeiten, einschließlich der Gesetzgebenden Gestaltung, und dann später auch deren Umsetzung in die Realität zu erleben. Das war Demokratie pur! Aber damals war es für uns selbstverständlich, daß wir es waren, die diese Arbeit taten. Denn schließlich lebten wir in einer Demokratie, waren demokratisch erzogen und hatten die Demokratie an der Ingenieurschule mit Hilfe des AStA gelebt und gelernt. Einige Demonstrationen waren notwendig, mit mehr als zehntausend - friedlichen - Ingenieurstudenten in Düsseldorf und später in Bonn , für die bundesweite Ingenieurschulreform. Durch die Kulturhoheit der Länder hatten wir in NRW unseren eigenen Weg, aus unserer Sicht einen der fortschrittlichsten in unserer BRD.


Aufgrund der Demonstrationen und der Verhandlungen - so sahen wir es damals - wurde dann eine Übungsphase in den jeweiligen Ingenieurschulen eingerichtet. Jede Ingenieurschule bekam ihre "Hauptversammlung" und ihre "Fachschaftsversammlungen", die sich selbst ihre Richtlinien und Satzungen geben konnten.

Es war eine unheimlich freie Zeit der Verhandlungen. Es wurde fair verhandelt. Schließlich stand für die Dozenten der Ingenieurschulen auch in Aussicht, zu Professoren zu werden.

Es war ein gutes Klima, obwohl hart gestritten wurde. Ich erinnere mich noch daran, daß wir sehr viele Verhandlungen hatten zum Punkt Prüfungswiederholung. Meine Auffassung war, daß eine Prüfung beliebig oft wiederholt werden dürfe. Ziel dieser Maßnahme war, daß die Prüfungsangst aus der Prüfung genommen wird und damit nur das Wissen und die Lösungsfähigkeit geprüft wird, nicht der Umgang mit der Prüfungsangst. Die beliebige Wiederholung würde sowieso nicht in Anspruch genommen, machte ich den Dozenten klar. Ich schaffte es, daß an unserer Ingenieurschule die Wiederholung von Prüfungen beliebig oft möglich war. Ein großer Verhandlungserfolg für mich, der einigen Studienkollegen ihren Lebensweg rettete.


Was geschah dann? Die Ingenieurschulen, die an diesem Experiment teilgenommen hatten, mußten ihre Ergebnisse nach Düsseldorf melden. Dort wurde dann aus disen Berichten eine für alle gültige gemeinsame Richtlinie erarbeitet, die dann an die Schulen zurückgegeben wurde. In Wuppertal waren wir mit Sicherheit - aus meiner Sicht - eine der fortschrittlichsten Ingenieurschulen im Sinne der Studienreform. Aber es wurde ein Mittelmaß genommen, und so verschwand die beliebige Wiederholbarkeit von Prüfungen in der Vergangenheit. Und dadurch, daß ich noch das erste Semester der Fachhochschulzeit erleben durfte - Wuppertal hatte (unter ihrem damaligen Oberbürgermeister Johannes Rau , der später Regierungschef von Nord-Rhein-Westfalen, und zum Schluss Bundespräsident war) gleich durchgestartet und wurde Gesamthochschule - erlebte ich somit auch auf der Erstsemester-Einführung den ersten Abschlußjahrgang der Fachoberschulen.


Wie heißt es so schön: "Die Revolution frißt ihre Kinder".

Wir freuten uns riesig, den Neuankömmlingen die Errungenschaft Fachhochschule vorzustellen, für die wir gekämpft, demonstriert und hart gearbeitet hatten.

Was hörten wir als Antwort: "Es interessiert uns überhaupt nicht, was ihr uns da erzählen wollt. Ihr habt ja noch nicht einmal Abitur!" Das hatten wir nun davon, daß wir dafür gekämpft hatten, daß als Eingangsvoraussetzung für die Fachhochschule zur Anerkennung in Europa eine zwölfjährige Schulausbildung mit einem Fachabitur an einer – neu gegründeten - Fachoberschule erforderlich gemacht worden war! Heute habe ich zum Glück das Gefühl, daß es in der Industrie keine Rolle mehr spielt, welchen Ausbildungsgang ein Ingenieur genossen hat.


Damit war meine zweite Innovations-Episode zu Ende. Und auch meine Zeit in der Heimat meiner Kindheit. Denn 1972, als ich mein Ingenieurs-Diplom verdient hatte, gab es keine Berufs-Aussichten für den Bereich, den ich mir ausgesucht hatte: die Nachrichtentechnik.

Die Suche nach einem erfüllenden Standort für meine Berufsausübung führte mich nach Nürnberg , in die Stadt, die heute Medienzentrale ist und Multimedia-Stadt. Meine erste Tätigkeit in meinem erstrebten Berufsziel begann.


Umgestaltung


Ich fühlte mich wohl in meiner neuen Tätigkeit. Und ich lernte. Ich lernte, mein Lebensziel umzugestalten. Mein Lebensziel, etwas zu tun, diese ewige elende Schufterei abzuschaffen, stellte sich als Fehleinschätzung heraus. Inzwischen hatte sich vieles geändert. Es gab inzwischen viele arbeitssparende Maschinen. Aber meine Beobachtungen zeigten mir, daß sich etwas Wesentliches nicht geändert hatte. Ich erkannte nach relativ kurzer Zeit in meiner Tätigkeit als Entwicklungs-Ingenieur, daß es nicht die Schufterei ist, die Menschen krank und elend macht, sondern der Umgang miteinander.

Mit dieser Erkenntnis mußte ich jetzt fertigwerden und mein Lebensziel neu überdenken.


Deshalb beschloß ich, Psychologie zu studieren. Glücklicherweise hatten wir in der Studienreform auch dafür gekämpft, daß wir mit Abschluß der Ingenieurausbildung freien Zugang zu sämtlichen Universitätsstudiengängen hatten - auch das wurde später abgeschafft, ich gehörte mit zu den letzten, die diese Möglichkeit nutzen konnten. Und ich gehörte auch zu den letzten, die noch Studienförderung nach BAFöG dazu bekamen.


Mein Gedanke war: Wenn es so ist, daß der Umgang der Menschen miteinander viel wichtiger ist als alles andere, dann werden Psychologen gesucht, die berufliche Erfahrung in der Industrie haben (habe ich später auch als Fehleinschätzung gesehen).


Um schon einmal Universitätsluft zu schnuppern, nahm ich eine Stelle an als Ingenieur am Institut für technische Elektronik in Erlangen an. Dort lernte ich die Fachbuchautoren Tietze und Schenk kennen, die bestimmt vielen Berufskollegen ein Begriff sind, und unser gemeinsamer Chef war Professor Dr. Ing. Dieter Seitzer, der sich um die Entwicklung der Mikro-Elektronik in Deutschland sehr verdient gemacht hat. Seinem Geschick ist es gelungen, daß sein Institut für Integrierte Schaltungen Institut für Integrierte Schaltungen in die Fraunhofer-Gesellschaft aufgenommen wurde. Es hat einen sehr guten Ruf, u.a. wurden dort die Grundlagen für DAB (Digital Audio Broadcasting) gelegt und MP3 entwickelt. Zu der Zeit, in der ich dort war, wurden die ersten Grundlagen dazu geschaffen.


Wie die BRÜHL-Elektronik-Entwicklungs-Gesellschaft entstand


Durch Herrn Schenk lernte ich ein für mich damals neues Bauteil kennen, den Mikroprozessor, dessen Relevanz (wie in meiner Kindheit die Sache mit der Flachbatterie) ich sofort erkannte. So kam es, daß ich mich im dritten Jahr meines Psychologiestudiums (erstaunlicherweise bekam ich bereits nach einem halben Jahr an der Universität einen Studienplatz) dann entschied, wieder - bzw. weiterhin, weil ich mich während des Studiums selbständig gemacht hatte - als Ingenieur zu arbeiten. Zweiundzwanzig Jahre habe ich dann in eigener Regie Elektronik-Entwicklung für meine Kunden durchgeführt und diese Zeit zum Lernen genutzt.

Nicht nur zum Lernen, in der technischen Entwicklung stets vorne zu sein, sondern auch den Umgang miteinander zu lernen. Es war für mich wichtig, Kunden als Freunde zu sehen. Das erleichterte mir meine Arbeit und brachte meine Kunden immer wieder zu mir zurück.


Wie die BRÜHL-Elektronik-Entwicklungs-Gesellschaft endete


Allerdings mußte ich eines Tages feststellen, daß dies auch Grenzen hat. Die Grenze spürte ich dort, wo ich eine Firma als Kunde hatte, deren Mitarbeiter nicht so frei waren, wie ich es bei den anderen Firmen gewohnt war. Es kam, wie es kommen mußte: Ich geriet zwischen verschiedene Fronten und wurde "aufgerieben". Vier Jahre konnte ich es hinauszögern, aber dann war meine selbständige Tätigkeit nach zweiundzwanzig Jahren zunächst einmal zu Ende.

Aber mit diesem Ende wurde die dritte Innovationsphase eingeleitet.


Innovationspreis für die RegioCard


Pünktlich zur Auflösung der BRÜHL ELEKTRONIK bekam ich den Innovationspreis der Region Nürnberg verliehen. Ich hatte mich an diesem Wettbewerb 1997 beteiligt, weil ich wieder etwas bewegen wollte. Ich sah, daß es wichtig wäre, wenn verschiedene Gruppen in der Region zusammenarbeiten würden. So reichte ich das Konzept "RegioCard" ein, das Konzept einer Zahlungskarte für die Region, das nur durch Zusammenarbeit realisierbar war. Entstanden war die Idee aufgrund meiner Erfahrungen aus einem Projekt zur Implementierung der Geldkarte für Siemens. Da ich erkannte, daß bei der Geldkarte bisher der Zusatznutzen für den Benutzer fehlte, packte ich in dieses Konzept "RegioCard" alle die Zusatznutzen hinein, die es dem Benutzer dieser Karte schmackhaft machen würden, die Karte zu verwenden und, vor allem, Produkte der Region zu kaufen. Denn das war das zweite Ziel: da die Region Nürnberg zu der Zeit stark unter Betriebsschließungen litt, mußte alles getan werden, das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Region und die Wirtschaftskraft zu stärken. Meine Arbeiten stellte ich der Region Nürnberg zur Verfügung.

Das Konzept wurde weitergeführt und es wurde in Verbindung mit der SignCard eine " RegioSignCard " daraus gemacht (wurde spater umbenannt). Damit beteiligte sich die Region Nürnberg am Media@Komm-Wettbewerb der Bundesregierung und wurde einer der drei Gewinner dieses Wettbewerbs. Zwanzig Millionen DM Fördergelder waren der Ansporn, die Region Nürnberg wieder nach vorne zu bringen. Für die Umsetzung wurde eine Firma gegründet, die später den Namen Curiavant bekam.


Besinnliches


Was ist aus meinen Lebenskonzepten geworden? Die Plackerei bei der Arbeit ist abgeschafft worden. Der Klassiker von Kanzow/Roth, den ich in der Ingenieurschulzeit kennenlernte, hat vieles, was in den letzten Jahren geschehen ist, beschrieben. Es wurde akribisch berechnet, wann ein Roboter billiger ist als ein Arbeiter, wann es sich lohnt, zu automatisieren. Ulrich Haupt hat damals immer wieder darauf hingewiesen, daß es immer weniger Arbeit geben wird für Menschen ohne Ausbildung.

Wenn ich zurückblicke, kann ich erkennen, daß damals vorausgesehen wurde, was wir jetzt erleben. Aber ich habe das Gefühl, daß viele Menschen das nicht wahrhaben wollen. Es ist Zeit für eine neue Reform.


Wir erleben den Fortschritt. Der Fortschritt besteht unter anderem darin, daß die Arbeit erleichtert wird, daß schwierige und menschenunwürdige Arbeit von Maschinen übernommen wird. Jetzt geht es darum, daß auch der Umgang der Menschen miteinander reformiert wird.

Es geht darum, daß jeder Mensch die Möglichkeit hat, ja, ein Anrecht darauf hat, ein menschenwürdiges Leben zu leben. Die Firmengründer der noch existierenden großen Firmen wie Bosch, Daimler und Siemens, haben das gewußt und haben sich für ihre Mitarbeiter eingesetzt. Manchmal denke ich, daß dieses Wissen abhanden gekommen ist.

Dieses Wissen läßt sich nicht von heute auf morgen wieder installieren. Deshalb ist es wichtig, die Regionen in Deutschland zu stärken, und in den Regionen Neues aufzubauen zum Wohle der Menschen.


Es wird derzeit geklagt, daß es zu wenige Ingenieure gibt. Ein Grund, daß es zu wenige Ingenieure gibt, besteht meiner Meinung darin, daß vor nicht allzu langer Zeit viele Ingenieure entlassen wurden. Ist es nicht verständlich, daß die Söhne dieser Ingenieure sich einem anderen Erwerbszweig zuwenden?


Es gibt Bestrebungen, eine neue Gründerzeit zu schaffen. Es ist nur zu hoffen, daß die heutigen Firmengründer stets die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Nur dann kann eine Phase der Neugründungen dauerhafte Wirkung erzielen.


Neuanfang


Wieder einmal gab es eine Glückssträhne: Ich bekam die Einladung, an einem Kurs zur Ausbildung zum Innovationsmanager teilzunehmen ( SEE). Durch meine RegioCard-Auszeichnung wurde ich mit anderen hellen Köpfen in der Region bekannt, und Helmut Winkler (ein Mann voller Ideen, leider zu früh verstorben), animierte mich, die Pressekonferenz zum Innovations-Wettbewerb des nächsten Jahres zu besuchen. Dort traf ich meinen zukünftigen Chef, und ich wurde wieder ins normale Berufsleben eingegliedert. Zwei Jahre später erhielt ich aufgrund meiner RegioCard-Idee eine Einladung, als Projektleiter SmartCards bei EuroSignCard S.A. Luxemburg anzufangen. Diese Tätigkeit brachte mich als Teilnehmer der EU-SmartCard-Initiative und Abgesandter Luxemburgs nach Athen, Helsinki und Brüssel. Trotzdem war dies nur ein Intermezzo. Nachdem ich Verhandlungen mit Stadt und Land Luxemburg zur Einführung einer SmartCard für den öffentlichen Personenverkehr begonnen hatte, wurde meine Tätigkeit beendet, weil sich die Firma auf den vermeintlichen Zukunftsmarkt "Digitale Signatur" umstellen wollte. Damit war das Schicksal von EuroSignCard S.A. besiegelt. Die Weiterführung meiner Verhandlung hätte zu einem umfangreichen Staats-Auftrag geführt.

Mein Erlanger Chef nahm mich mit Freuden wieder unter seine Fittiche und ich hatte eine gute Zeit, für Lucent Technologies, die aus den berühmten Bell-Labs hervorgegangen ist, als Consultant zu arbeiten, bis die amerikanischen Lucent-Chefs die Entscheidung trafen, alle Fertigungsstatten weltweit - und damit auch in Nürnberg - zu schliessen .

Dieser Zeitpunkt war für Arbeitssuche sehr ungünstig in Nürnberg. So beschloss ich, einen ehemaligen Studienkollegen in den USA anzurufen, um zu fragen, ob er einen Entwickler für Mikroprozessortechnik benötige. Überraschenderweise bejahte er meine Frage, und so siedelte ich nach einer kurzen Übergangsphase in die USA über. Nachdem ich Hard- und Software für einige Messinstrumente entwickelt und grundlegende Arbeiten zur Programmierung von variablen Frequenz- und Spannungs-Konvertern durchgeführt und eine Darmkrebs-Erkrankung und Operation und die nachfolgende Strahlen- und Chemo-Therapie erfolgreich überstanden hatte, wurde auch dieser Abschnitt beendet.


Consulting


Wieder bekam ich eine Einladung, diesesmal zur Teilnahme an einem Kurs zur Unterstützung für den Start selbständiger Tätigkeit ( Self-Employment-Assistance - SEA). Mehr als dreitausend Arbeitssuchende waren angeschrieben worden, und mit mir waren sechzig nach einer Vorbereitungsveranstaltung und einer eigenständigen Geschäftsidee-Ausarbeitung in der End-Auswahl. Das Assessment-Gespräch war sehr interessant. Mein Ergebnis war die Mitteilung, dass meine vorgestellten Arbeiten soweit fortgeschritten waren, dass ich keines Kurses bedürfe - das Ergebnis war ja zu erwarten nach 25 Jahren selbständiger Tätigkeit! So begann ich dann mit meiner ersten eigenen Webseite wieder als Consultant zu starten - diesesmal im Land des American Dream!

Ich bin sicher, dass ich Ihnen mit meinen Erfahrungen nutzen kann! Was brauchen Sie?